Wie er dazu kam, obwohl dieser Weg gar nicht für ihn vorbestimmt war und wie er es geschafft hat, so viele verschiedene Projekte auf die Beine zu stellen und diese wachsen zu lassen, teilt er in dieser Folge mit euch.
Julia: Willkommen zum Podcast auf eigenen Beinen. Ich freue mich sehr, dass heute Primo Berera da ist.
Primo war fünf Jahre lang mein Chef bei NOA No Ordinary Art, ist außerdem Mitgründer des Zauberwaldes. Du hast ganz viele Festivals organisiert und organisiert Winterevents. Und was ich so spannend finde, ist, dass dein Weg gar nicht so vorgezeichnet war, weil du hättest Skirennfahrer werden können, hast eine Ausbildung als Heizungsbauinstallateur gemacht und dann irgendwann Kunst und Design studiert und dann hast du deine eigene Firma gegründet, in der ich auch lange beschäftigt war.
Magst du mal erzählen, wie das alles so gekommen ist?
Primo: Ja, vielen Dank für die Einladung. Und ja, vielleicht zusammenfassend kann man sagen, die einzige Konstante in meinem Leben war für mich die Unkonstante, der Zickzack in meinem Werdegang. Wie du bereits erwähnt hast – grundsätzlich wäre für mich ein anderer beruflicher Werdegang vorgesehen gewesen. Meine Eltern hatten damals eine Heizungs- und Sanitärfirma in der Schweiz und natürlich war es naheliegend und auch als 16-jähriger, was weißt Du da schon, habe ich mich für die Lehre zuhause als Sanitärinstallateur entschieden, die dann drei Jahre lang dauerte. Ich habe dann anschließend eine Heizungsplaner-Lehre gemacht, ebenfalls drei Jahre und hatte dann letztendlich irgendwie acht, neun Jahre auf dem Bau quasi investiert.
Und natürlich war die ja die Intention meiner Eltern, dass ich irgendwann mal in die Firma einsteige und da war der Kurs an sich klar, bis ich die die Wende dann eingeläutet habe.
Ich konnte mich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr so wirklich identifizieren mit dem Baugewerbe und dem harten Umgang bei Wind und Wetter. Und da war das ja das Raue, das Arbeitsklima auf Höhen war auch, sage ich jetzt mal… Und ich war damals sehr viel auf Reisen, auf langen Reisen und hatte damals immer meinen Fotoapparat dabei.
Damals gab es ja noch kein Handy. Das war vor, keine Ahnung, 25 Jahren und ich habe mich damals wohl gefühlt, die Welt durch die Linse zu bekommen. Das heißt, ich habe immer so das Gefühl gehabt, wenn ich einen Fotoapparat mit dabei hatte, gehe ich viel aufmerksamer durch die Welt, so viel aufmerksamer, auch auf Details. Und wenn ich durch den Sucher geguckt habe, habe ich schon die Bildkomposition im Prinzip schon gesehen. Das war so ein bisschen der erste Berührungspunkt mit Kreativität – und da habe ich gemerkt: Hey, interessiert mich irgendwie mehr. Mir ist es irgendwie ganz leicht von der Hand gelaufen. Wie ich meine Fotostrecken gemacht habe oder auch Alben dann zusammengestellt hab und kreativ einfach mit den Bildern umgegangen bin. Und das war gleichzeitig dann auch so das Gefühl: Hey, ich weiß, was ich nicht will.
Und das ist nämlich mein altes Leben. Also als auf dem Bau, was könnte dann mein neues Leben sein? Das war quasi so ein Anhaltspunkt. Da könnte Kreativität etwas sein für mich.
Julia: Aber Primo, hattest du dann davor gar nichts mit Kreativität zu tun? Also hast du nie irgendwie so früher gemalt, etwas Kreatives gemacht, Musik…?
Primo: Ich habe sicherlich viel gezeichnet. Ich habe auch Musik gemacht. Die Karriere war allerdings kurz und nicht erfolgreich. Ich war nicht begabt. Ich habe immer gezeichnet, aber nie mit dem Gedanken: Hey, ich könnte es auch beruflich tun. Immer so nebenbei. Und das war dann wirklich auch der, ja, der Ausgangspunkt, oder sagen wir, der Wendepunkt in meinem beruflichen Leben, weil deswegen habe ich mich nachher schlau gemacht: Was könnte ich als junger Erwachsener als weiteren Berufsweg gehen?
Und weil ich eben auch viel auf Reisen war, habe ich mich interessiert für ein kreatives Vor- Studium, sage ich jetzt mal, an einer Hochschule, das geht jeweils so plusminus ein Jahr. Aber im Ausland? Ich wollte eigentlich reisen und so das weitere berufliche miteinander kombinieren.
Und dann habe ich mich in England an einer in einer Kunsthochschule beworben. Da hat es geheißen, dass es so ein kreatives Jahr ist, wo man sich ausprobieren kann. Da gibt es von Architektur über Möbel, Design, über Kunst, über Musik, über Fotografie, Film, Modedesign – da konntest du alles ein bisschen ausprobieren und konntest danach einen Schwerpunkt definieren. Und ich hatte schon immer das Gefühl, ich will der Welt irgendwas mitteilen. Ich wollte irgendwie kommunizieren. Ja, und die Wahl für mich fiel danach quasi auf visuelle Kommunikation, Kommunikationsdesign, eigentlich auch Grafikdesign.
Und dann hat man eine Mappe erstellt, eine grafische Mappe, wo man in diesem Bereich diverse Sachen erstellt, erarbeitet hat. Und mit dieser Mappe konntest du dich dann an der Hochschule bewerben für ein Studium. Und dann habe ich mir Gedanken gemacht und gesagt: Hey, einerseits kann ich in England bleiben, aber für ein Studium möchte ich, glaube ich, trotzdem in meiner Heimatsprache, sage ich jetzt, ja, ein Studium eigentlich anfangen und hab mich dann eigentlich so ein bisschen bei Freunden umgehört.
Und ein Freund von mir, der hat in München studiert, den habe ich kontaktiert, der hat mich dann auch quasi connected mit denen in der Schule da und dann habe ich einen Bewerbungstermin gehabt, habe eine Mappe da gezeigt, bin aus England nach München geflogen und habe mich beworben, und wurde dann natürlich auch angenommen.
Kurz darauf hatte ich mein Studium in München als Grafikdesigner / in der Werbung begonnen und das hat dann weitere drei Jahre gedauert. Und ich hab viele, viele neue Leute kennengelernt. In München habe ich ja auch eine neue Kultur kennengelernt.
Ich bin dann auch gependelt, hin und her gependelt zwischen München und der Schweiz und das war eine sehr intensive Zeit. Und diese Zeit beschreibt aber auch gleichzeitig wieder so einen markanten Meilenstein in meinem beruflichen Werdegang, weil da hatte ich nachher in der Werbung gearbeitet und parallel habe ich mir eigentlich ein freies Atelier aufgebaut.
Julia: Das hattest du in München?
Primo: Das war so ein Gemeinschaftsatelier, das hab ich so ein bisschen gebraucht als Ausgleich zu meiner Werbe-Grafikarbeit. Da lief alles so nach Programm und nach Timing und nach Deadlines. Wie auch immer. Ich habe irgendwie einen Ausgleich gebraucht und mein Ausgleich war damals die Malerei. Das heißt, in München habe ich angefangen, frei auf Leinwänden zu malen.
Julia: Also ich will mal ganz kurz einhaken: Also du kommst aus der Schweiz, aus einem kleineren Ort. Dann hattest du eine Karriere als Heizungsbau-Installateur, hättest die Firma deiner Eltern übernehmen können, aber stattdessen gehst Du auf Reisen. Und übrigens, ich geh nach England studieren und jetzt studiere ich was anderes in München. Haben die da nicht die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und sich ein bisschen gefragt, was du machst?
Primo: Doch, das war natürlich ein Schreckmoment für meine Eltern… Also die Firma gab es damals plus minus 90 Jahre. Schon mein Großvater hatte die gegründet damals. Mein Vater hatte die übernommen, hat das Ganze aufgebaut. Natürlich hätten sie es gerne gesehen, wenn ich da in der dritten oder vierten Generation dann übernommen hätte. Natürlich war es ein Schock für die, so lange was aufgebaut… Ich hatte ebenfalls jahrelang ja Energie investiert. Und dann, Knall auf Fall kommt der Kleine und sagt: Hey Papa, ich habe keinen Bock mehr auf das Ganze.
Julia: Ist ja schon auch so eine gewisse Konfrontation, könnte ich mir vorstellen…
Primo: Auf jeden Fall, weil mein Vater sehr, sehr dominant war. Sich da hinzustellen und zu sagen: Hey Papa, ich hab keinen Bock mehr auf das Zeug, was du die letzten 50 Jahre gemacht hast, aufgebaut hast. Ja, das war schon eine Hürde. Im Nachhinein gesehen sagt er heute zu mir: Hey, das ist das Beste, was uns passieren konnte.
Julia: Wieso? Was war für ihn gut?
Primo: Ja, ich glaube, er konnte einfach nach seiner Pension, nachdem er in Pension ging, einfach damit abschließen.
Julia: Und die Firma?
Primo: Die wurde verkauft. Okay. Das Mutterhaus oder Elternhaus wurde verkauft und er konnte einfach abschließen und seine Pensionierung einfach genießen. Ich glaub, wenn ich in die Firma gegangen wäre, wäre er immer mit einem Bein da drin gewesen. Und ich glaube, das hätte über kurz oder lang zu Problemen geführt. Aber wie gesagt, er hat die Firma 50 Jahre lang geführt. Da kannst du nicht von heute auf morgen einfach aufhören. Und ich kann es so machen, wie ich will, sondern er wär sicherlich immer noch jeden Tag in der Firma gewesen und das hätte, glaube ich, nicht gut funktioniert. Deswegen sagt er heute: Hey, ich bin froh, hast du das Ganze nicht übernommen. Ich bin froh, bist du deinen eigenen Weg gegangen. Ich finde viel cooler, was du machst.
Julia: Also ist er stolz auf dich?
Primo: Er ist heute mein größter Fan, damals mein größter Kritiker, als ich die Entscheidung traf. Heute mein größter Fan, mein größter Unterstützer. Und ja, wir tauschen uns extrem viel aus über die Sachen, die ich mach.
Julia: Also so wie so ein Mentor, ein unternehmerischer Mentor, der erst mal aus einer ganz anderen Branche kommt?
Primo: Er ist einfach ein Vater, der interessiert ist an dem, was ich mache, der, glaube ich, selber gerne etwas Kreatives gemacht hätte. Ich glaube, das war damals halt auch so ein bisschen die Generation vor meinen Eltern: Hey, der Junge macht das, was der Vater gemacht hat – noch mehr als bei uns. Und ich glaube, er hätte auch gerne was anderes gemacht. Was Kreatives.
Julia: Hat sich aber gar nicht getraut?
Primo: Hat sich nicht getraut, konnte damals nicht. Ich meine, die hatten damals ja nix. Das einzige, was bestand und irgendwo aufgebaut werden konnte, war die heimische Firma.
Julia: Ja krass. Okay, dann hast du das so gewendet, dann hast du ein Design Studium gemacht, was ja auch nicht so leicht ist. Dann hast du angefangen zu arbeiten und gesagt: Nee, ich brauche einen Ausgleich. Und hast angefangen zu malen.
Primo: Genau, das war dann alles so ein bisschen mein Ventil vom Alltag. Man muss sich vorstellen: München, kunterbunte Stadt, da gibt es so viele interessante Leute. Ich hab‘ dann irgendwie ein Gemeinschafts-Atelier gefunden, da waren Sprayer drin, da waren Typografen drin, da waren irgendwelche Leute, die den ganzen Tag Bier getrunken haben. Also kunterbunt. Das war in der alten Färberei in München. Und durch mein Studium in England hab‘ ich das Malen auch so ein bisschen kennengelernt als Ausdrucksform von von deinem Inneren, sage ich jetzt auch. Das ist ein Verarbeiten von so vielen Ebenen und das hat mir da einfach den Ausgleich gegeben. Ich bin da um 9:00 morgens in die Agentur gegangen, hab gearbeitet, zehn Stunden, elf Stunden, zwölf Stunden und dann bin ich anschließend ins Atelier gegangen bis zwei oder drei. Und das war aber überhaupt keine Anstrengung so, weil es so befreiend war. Sind am nächsten Tag wieder in der Agentur und wieder zurück und wieder vor und wieder zurück. Und das hatte ich so drei, vier Jahre da gemacht, das hat sich entwickelt. Ich hab‘ dann einfach mich selbst da irgendwie ausgebildet in der Malerei, hab meine eigene Technik entwickelt, hab da großformatig abstrakt gearbeitet, irgendwann dann auch meine ersten Ausstellungen gemacht, auch in München. Und irgendwann hat sich das einfach so ergeben. Es war wirklich wie ein Flow, im Flow. Und irgendwann muss ich sagen: Hey, ist viel cooler als Werbung. Und ich verdiene sogar mehr, als wenn ich jeden Tag von morgens bis abends in die Agentur arbeiten ging. Es war irgendwie einfach viel einfacher das Ganze.
Julia: Wie hast du es geschafft, mit deinen Bildern Geld zu verdienen? Weil, das ist ja auch nicht so einfach, oder? Wie hast du die dann verkauft? Durch die Ausstellungen oder wie hast du das geschafft?
Primo: Tja, einfach tun. Einfach durch, einfach machen. Ich hatte keine Businessplan, ich hatte überhaupt keinen Plan. Ich habe irgendwie nebenbei angefangen zu malen. Das habe ich irgendwie entwickelt, ausgebaut und es kam einfach. Ich habe sehr viele Leute kennengelernt, durchs Studium, Ausstellungen, Galerien – wie auch immer und hab die Leute konfrontiert mit dem, was ich mach und gefragt und getan und und und…
Und ja, irgendwann einfach mal organisiert. Und dann kam es vom einen zum anderen – gar nicht groß studieren. Ich habe wirklich nicht darüber nachgedacht: Was ist, wenn es schief geht? Überhaupt nicht. Vielleicht ist es auch so ein bisschen jugendliche Naivität, oder die jugendliche Unbekümmertheit, was ich jetzt vielleicht nicht mehr so habe mit Familie etc. – aber damals war es wirklich: Ich bin hier komplett im Jetzt, im Hier und Jetzt und habe mir keine Gedanken gemacht über: was ist morgen, was war gestern und oder überhaupt. Ich habe komplett gelebt, genau das getan, worauf ich gerade Bock hatte und das war das, worauf ich Bock hatte. Es war mich kreativ zu betätigen.
Julia: Ja, schön. Und wie ging es dann weiter, Primo? Also dann hast du gemerkt, du kannst mit Kunst mehr Geld verdienen. Zumindest musst du nicht den ganzen Tag arbeiten. Hast du dann die Arbeit in Agentur aufgegeben oder wie hast du dann weitergemacht?
Primo: Dann habe ich eigentlich meinen ersten Businessplan mal im Kopf formuliert und der war, der war eigentlich ganz cool: Der hat geheißen: Es muss doch möglich sein, im Monat zwei Gemälde zu verkaufen für je 2.000 Schweizer Franken. Und das war mein Businessplan. Und dann bin ich zu meinem Chef hingegangen, in der Agentur Serviceplan in Deutschland, der größten inhabergeführten Agentur Europas: Ähm, hallo, ich kündige. Und ich hab einen vagen Businessplan.
Aber das ist jetzt, was ich gerade fühle. Und ich werde zurückgehen in die Schweiz und da meine Kunst weiterverfolgen. Und natürlich war das für die auch so ein bisschen, die wollten mich gerne da behalten. Ich habe irgendwie immer so ein bisschen gute Laune, was Schweizerisches da reingebracht. Klar, das mussten sie natürlich akzeptieren und ich hab dann wirklich ziemlich schnell meine Sachen gepackt, meine Zelte abgebaut in München und bin zurück in die Schweiz und bin damals nach Zürich gegangen.
Julia: Und wie lange warst Du dann eigentlich in der Agentur damals?
Primo: Vier Jahre.
Julia: Ah doch so lange! Aber ist eigentlich auch cool – ich find es immer schön, wenn man einfach das macht, was man fühlt. Und ich finde, manche Menschen trauen sich das gar nicht.
Primo: Eben, wie gesagt – ich habe gar nicht groß nachgedacht, was ich soll oder was ich nicht soll, sondern ich habe wirklich gespürt: Hey, das will ich oder das will ich nicht. Vielmals ist es auch hilfreich, dass man spürt, was man eher nicht will. Wenn man mal weiß, was man nicht will, kann man sich danach konzentrieren auf das, was man dann vielleicht findet, was man dann machen will.
Julia: Und dann war dein Businessplan, zwei Bilder pro Monat zu verkaufen. Und du bist nach Zürich gezogen, was ja jetzt auch nicht gerade die günstigste Stadt der Welt ist. Und das klappt schon?
Primo: Ich hab mir da ein Atelier gemietet und wie es Zufall so will, habe ich da eine erste Ausstellung gehabt und da kamen diverse Leute und der eine fand das sehr cool, was ich da mache. Auch der war Marketingchef einer großen Schweizer Jobvermittlungsfirma, sage ich jetzt mal, der hat gesagt: Hey! Wir haben in den vergangenen Jahren sehr vieles gemacht und mit unserem Team, wir würden gern mal als Teambuilding so ein bisschen was Kreatives machen. Was du machst, finden wir cool. Können wir da zusammenkommen? Und das war eigentlich der nächste Meilenstein in meinem Beruf, in meinem Werdegang.
Julia: Bei deiner ersten Ausstellung?
Primo: Genau, der ersten Ausstellung. Das hat nämlich den Punkt markiert, wo ich von der freien Kunst, wo du ja wirklich von der Hand in den Mund lebst…
Julia: Du weißt ja auch nie, wann was…
Primo: Genau, geplant ist. Eigentlich immer nur von Woche zu Woche, um ein bisschen mehr Stabilität zu bekommen in den Finanzen. Zumindest da jetzt. Das heißt, da kam es eigentlich zum ersten Mal zu einer finanziellen Auftragsarbeit. Und zugleich hat es eigentlich eine neue Marktlücke bedeutet in der Schweiz. Es gab es gab bis dahin eigentlich sehr wenig im kreativen Teambuilding, sondern es gab so ein bisschen Action Painting und ein bisschen dies und das. Aber nicht mit Struktur, nicht mit bisschen mehr Fleisch an den Knochen.
Das heißt: wir hatten damals für die knapp 1.000 umsatzstärksten Kunden dieser Jobvermittlung, hatten wir kreative Weihnachtsgeschenke gestaltet. Das heißt, das Marketingteam dieser Unternehmung kam zu mir ins Atelier. Ich hatte 1.000 kleine Leinwände in der Größe A4 auf dem Boden quasi zu einem riesigen, riesigen Kunstwerk angeordnet. Das Marketing-Team hat sich da so verwirklicht auf diesen 1.000 Leinwänden. Daraus entstand das damals größte zusammenhängende Kunstwerk auf einer Leinwand in der Schweiz. Wir haben danach jedes einzelne Kunstwerk fotografiert und online gebracht. Haben den jeweiligen Kunden einen Zugang gewährt und diese konnten dann quasi eines ihrer 1.000 Bilder online auswählen. Das heißt, es war extrem customized. Es war damals ein Novum und es war so ein Erfolg. Die Bilder, und das sind jetzt 15, 16 Jahre her, hängen immer noch extrem in diesen Unternehmungen.
Und das hat mir damals so gezeigt: Das kann ein neuer Zweig für mich sein, das kann etwas für mich sein, wo ich meine Kreativität, die freie Kreativität in der Gestaltung ausleben kann. Kombiniert im Spagat eigentlich mit einer kommerziellen Ausrichtung in Zusammenarbeit mit Unternehmen in der Schweiz.
Und damals war das das Teambuilding extrem im Trend, extrem im Aufkommen. Es gab aber wie gesagt noch nicht wirklich kreatives Teambuilding. Da habe ich mal eine Lücke gesehen und es dann fortwährend aufgebaut, bis ich dann monatlich diese Teambuildings gemacht habe mit 10 bis 200, 300 Leuten gleichzeitig.
Julia: Das hast du alles noch alleine gemacht und das in deinem Atelier?
Primo: Alles alleine gemacht. Ja, aus Zürich und ja, das nahm seinen Lauf. Auch wie gesagt kein Plan. Bis auf das eine zum anderen kam.
Julia: Ich wollte ja sagen, was ich jetzt schon spannend finde: Es hört sich so an, als hättest du eigentlich immer den nächsten Schritt gefühlt und dann kam der übernächste auf dich zu.
Primo: So ein bisschen im Nachhinein gesagt. War das wirklich so? Also ich glaube, man muss auch offen sein, Augen und Ohren offen halten. Das Herz muss offen sein, um neues empfangen zu können. Das heißt, ich war immer empfänglich für neue Ideen, neue Wege, was anzugucken. Ich war eben auch offen für Gespräche. Und wenn du das nicht bist, glaube ich, siehst du auch nicht die Wege, die du beschreiten kannst.
Julia: Und wo hast du dir diese Freiheit genommen, einfach so mit dem Flow zu gehen? Also warst du einfach jung, hattest noch keine Verpflichtungen? Oder dachtest du einfach: Ich mache mein Ding, mir wurscht – ich habe nicht so hohe Ansprüche?
Primo: Genau, ich war alleine. Ich hatte keine Partnerin damals. Ich hatte keine Familie. Ich war, ja, ich war da alleine unterwegs in der Welt und kann natürlich entscheiden, was ich machen muss und mit wem. Und das war sicherlich auch von Vorteil.
Julia: Und wie ist es dann alles gewachsen? Denn irgendwann war’s ja dann offenbar so viel, dass du es nicht mehr alleine machen konntest?
Primo: Genau, da schließt sich eigentlich dann auch wieder der Kreis zu München. Und wie gesagt, das eine führt zum anderen und irgendwie hängt auch alles so ein bisschen zusammen – jetzt im Nachhinein betrachtet. Nach 1, 2, 3 Jahren hat die damalige Agentur mich kontaktiert und gesagt: Hey, wir haben einen großen Kunden.
Julia: Wir dürfen nicht den Namen sagen, gell..
Primo: Wir haben einen großen Kunden, den kennst du auch, der würde gerne was mit Kunst und Corporate machen und wir sind jetzt schon zwei Jahre dran gewesen. Haben Entwurf über Entwurf, über Entwurf gemacht und nie hat’s gematcht.
Julia: Dann kamen sie zu dir, dann kam Serviceplan um etwas von Dir entwickeln zu lassen?
Primo: Und da hab ich gesagt: Ja gut, ihr wisst eigentlich, was ich was ich mach, was ich tu. Wir können uns gerne mal zusammensetzen. Ich komm zu euch nach München und da haben die mir erklärt, um was es geht. Und da habe ich gesagt: Hey, das ist genau das, was ich eigentlich tu. Und das wäre die Chance, das mal auf einem höheren Level zu tun.
Und daraus entstand dann eigentlich die erste Kunstedition für diese Firma, für dieses Unternehmen, wo ich das Corporate, quasi das starre Corporate eines Unternehmens, eines großen Unternehmens, richtigen Großkonzerns, kreativ oder auch künstlerisch frei aufgebrochen habe. Dies in Form von einem Gemälde, von Fotografien, Formen von Objekten, von Grafiken, von Wandreliefs. Wie auch immer, egal. Es gab verschiedene Medien, wo wir das Logo oder die Brand dieser Unternehmung inszeniert haben.
Julia: Und das hast du dann alles als Primo Berera gemacht? Also war die Agentur raus oder wie war das genau?
Primo: Genau, die hatten mir quasi das Mandat übergeben, weil mit der Kunst hatten die gar nichts am Hut.
Julia: Okay, und haben sich auch die Zähne ausgebissen.
Primo: Genau, die haben sich die Zähne ausgebissen. Auch der Kunde hat gemerkt, dass es nicht mit der Agentur, sondern vielmehr so mit einem Freigeist geht.
Das Unternehmen ist auch heute noch nach über 15 Jahren ein treuer Kunde von mir. Und damals hat quasi meine kleine Brand – meine kleine Firma hat Primo geheißen – mit Primo gab ich als Primo die One Man Show.
Julia: Und so war das dann die erste, sage ich mal, Firma, wo du so konstante Umsätze hattest? Primo ist auch ein cooler Name muss man ja auch sagen.
Primo: Ich danke meine Eltern ja irgendwie auch. Da war wieder der Flow drin – das heißt, diese Kunst Edition, die wurde dann immer weiterentwickelt und wurde immer weiter abgenommen von diesem Filialvertriebsnetz. Und irgendwann war der Aufwand so groß, dass ich Hilfe brauchte. Ich brauchte Hilfe, weil ich das alles nicht mehr alleine schaffen konnte.
Und auch da schließt sich der Kreis wieder nach München. Ich hab‘ mit einem Kommilitonen, mit dem ich quasi damals studiert hatte, in München, wieder Kontakt aufgenommen und habe ihn gefragt: Hey! Wie schaut’s aus, hast du Bock mit mir was zu unternehmen? Wie sieht es bei dir aus? Wo bist du grad? Hast du Lust auf ein Abenteuer? Ins Niemandsland? Ja, er hatte das damals gehabt. Er hatte Bock gehabt, auch aus einer Agentur auszusteigen und gemeinsame Sache zu machen.
Und das hat sich dann wirklich auch sehr, sehr gut entwickelt. Er damals in München, ich in der Schweiz. Die Distanz war kein Problem. Die Digitalisierung kam da. Er kam dann auch irgendwie dazu und die Kommunikation wurde einfacher. Die Zusammenarbeit wurde dann quasi: Primo war nicht mehr alleine der Mensch, sondern der hat sich jetzt multipliziert. Die anderen zwei – und dann waren wir drei, vier. Also musste mein kleiner Brand auch mitwachsen. Dann entstand eigentlich Primocollective.
Also es war nicht mehr Primo alleine, sondern es war ein Kollektiv um den Primo herum. Klar war ich immer noch irgendwo die in Anführungszeichen die Gallionsfigur bei den Kunden – aber ich war nicht mehr alleine. Ich hatten ja ein kleines Team und das war ganz cool. Und mittlerweile hat sich natürlich dann auch das Klientel erweitert. Also das ist dann ja auch viel Mund-zu-Mund-Propaganda und Unternehmen sehen, was du tust.
Julia: Du hattest dann auch schon jahrelange Erfahrung….
Primo: Genau. Und ja, irgendwie war dann die Zeit für mich in Zürich dann auch gezählt und ich hab mich dann entschieden, nach zwei Jahren oder so wieder in die Berge zu gehen. Das heißt, ich bin zurück in die Schweizer Berge gezogen.
Julia: Und Du hast deine Firma ist einfach weiterlaufen lassen und den Standort geändert?
Primo: Genau, die Firma lief weiter. Wir hatten einen Standort in München, dann mittlerweile. Wir hatten einen kleinen Standort in Zürich und ich bin quasi zurück in meine Heimat. Die Firma lief natürlich weiter und hab hier oben quasi ein bisschen das Mountain Hub gegründet.
Julia: Und wie war das damals? Also ich meine, war hier viel los oder wie war das denn? Also wie war das dann für dich dann da aus Zürich und aus München und aus England wieder hier in den Bergen anzukommen?
Primo: Also grundsätzlich ist die Wahl auf Lenzerheide gefallen, weil meine damalige Freundin aus der Lenzerheide kam. Sie meinte: Komm doch zu mir hoch. Hier ist es cool, hier läuft immer was –Skifahren und Snowboarden, ein bisschen Biken, See usw. und so fort. Gesagt, getan. Follow the flow.
Und nicht zu viel darüber nachdenken. Sachen gepackt, auf die Heide gezogen. Und meine damalige Freundin, die war sehr gut vernetzt hier oben, hat sehr vieles bewegt hier oben und hatte ein großes Netzwerk. Und über dieses Netzwerk habe ich natürlich auch ihren Bruder dann kennengelernt, die ganze Familie. Und da hat man schon auch gemerkt: Hey, das ist auch irgendwie ein Mensch, der sehr kreativ, sehr, sehr umtriebig ist.
Wir haben da sehr, sehr viele Schnittstellen und wir haben dann auch angefangen, hin und wieder so ein bisschen uns auszutauschen, zu brainstormen. Er hat natürlich gewusst, was ich mache in der Kreativität. Ich habe gewusst, was er so ein bisschen macht. Er ist so ein bisschen Musik-interessiert, Eventgeschichten, er hat ein großes Hotel geführt und da finden ja sehr viele Sachen statt. Und er war sehr, sehr vielseitig interessiert. Und das beschreibt dann wiederum den nächsten großen Meilenstein in meinem Werdegang.
Julia: Und vielleicht, also um den nächsten Schritt näher zu beschreiben, dann kam doch auch der Zauberwald, über den man Dich ja auch kennt. Meinst du das mit nächstem Schritt?
Primo: Also Giancarlo ist ein sehr, sehr kreativer Kopf. Der ist auch sehr verbunden, der ist ja aufgewachsen, macht viel für die Region und hat sich damals gefragt: Hey, wie können wir in der Vorweihnachtszeit die Region so ein bisschen beleben? Da braucht es auch eine coole Idee. Was gäbe es da? Eine lustige Side Story vielleicht. Wir saßen damals zusammen im Sportzentrum da oben in der Lenzerheide, im Whirlpool, haben wir haben da so ein bisschen über vor uns hin sinniert und so ein bisschen Ideen gewälzt.
Und dann stand eigentlich die Idee: Hey! Es gibt in der ganzen Welt Weihnachtsmärkte. Die sehen überall gleich aus. Auch hier auf der Lenzerheide. Es muss doch möglich sein, einen Weihnachtsmarkt next level zu machen. Nicht so traditionell, nicht so klassisch. Was wäre denn, wenn wir den coolsten Weihnachtsmarkt der Schweiz machen würden? Nicht in dem Setting wie sonst immer, sondern: Hey, wir gehen mitten in den Wald, mitten in den Wald, im schönsten Wald. Weihnachtsmarkt mit Musik, Emotionen, Food, Drinks, ein bissl Kinderprogramm, vielleicht ein bisschen klassische Musik. Es kann alles sehr gut, sehr gut funktionieren. Da könnte sehr gut ankommen.
Das war damals, vor zwölf, 13 Jahren. Uns hat aber damals noch eine ganz, ganz wichtige Zutat gefehlt, nämlich das, was uns wirklich, was uns differenziert von allen anderen Weihnachtsmärkten. Und weil ich eben damals in der Kunst tätig war, sind wir darauf gestoßen: Hey, was wäre denn mit Licht? Kunst? Damals gab es noch kein einziges Licht Festival in der Schweiz. Das konnte unsere Chance sein. Das heißt, wir hatten quasi unser Gesamtkonzept von unserem Weihnachtsmarkt im Eichhörnchenwald da nebendran und haben dann angefangen, das Konzept zu verfeinern.
Und das war der Startschuss für ja, für ein Erfolgsrezept. Ja, für ein für ein Vorzeige.Gesamtprojekt eigentlich der ganzen Schweiz. Und mittlerweile ja 10, 11, 12 Jahre alt und sehr, sehr erfolgreich. Und markiert so ein bisschen auch die Basis von dem, was wir heute tun. Also so ein bisschen der Dreh- und Angelpunkt auch von dem, was ich alles kombinieren konnte, was wir alles schon mal machen wollten, dass sowohl ich als auch Giancarlo und die weiteren Partner, die involviert sind. Da haben wir eigentlich aus all dem, was wir die letzten zehn, 15 Jahre gemacht hatten und bekommen den Bumerang wieder zurück. All das konnten wir kombinieren: Gestaltung, Musik, Kunst, Licht, Gastronomie, Event. Alles konnte kombiniert werden Und darin gehen wir eigentlich so richtig auf.
Julia: Also ich könnte noch ewig reden, aber ich weiß, du musst demnächst los. Ich würde gern noch wissen, wann kam der Punkt, dass dein Vater auch gesehen hat: Das ist total cool, was du machst. Ich stell mir jetzt schon vor, dass er am Anfang erst mal skeptisch war. Kam das dann, als du wieder hier oben warst und so was von auf die Beine gestellt hat?
Primo: Nein, das war eigentlich schon früher. Damals in Zürich, als die ersten Kontakte zu Unternehmen entstanden sind und man gesehen hat: Hey, da ist irgendwo eine Lücke, eine Marktlücke, wo man Kunst und Kommerz zur Besten positionieren und kombinieren kann. Da hat er also gesehen: Ich mach nicht einfach nur brotlose Kunst oder ich lieg‘ das ganze Leben auf der Tasche, sondern ich kann damit mein eigenes Brot verdienen, sage ich jetzt mal. Von da an hat sich eigentlich seine Gesinnung geändert.
Julia: Da kam auch der Respekt?
Primo: Dann kam auch der Respekt, genau. Und je mehr ich das aufbauen konnte, desto mehr hat er das auch goutiert und auch unterstützt. Und um zurück zu kommen zum Zauberwald: Das war natürlich so das Highlight für ihn.
Er hat gesehen: Hey, der Bub, der hat es irgendwie geschafft. Der steht auf eigenen Beinen, der kann sein Leben selber leiten sozusagen. Und der Zauberwald war dann wieder so ein bisschen der Grundstein, wie sich die Firma dann auch ein bisschen neu strukturiert hat. Das heißt: Aus Primocollective wurden dann mehr Leute. Ich wollte dann auch nicht mehr wirklich so als Primo mit Namen in den Medien sein in unserer kleinen Firma, sondern es war ja viel größer als ich damals kleiner angefangen hatte. Also hat ein Rebranding stattgefunden und aus Primo wurde Primocollective, und daraus wurde No Ordinary Art.
NOA steht für No Ordinary Art und beschreibt eigentlich das Grundverständnis, wie wir auch heute noch und in Zukunft an Ideen, Gestaltungen, Lösungsansätze rangehen. Einfach mal das Ganze aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, anders zu sehen – vielleicht auch zu spüren oder zu fühlen.
Julia: Und wie war das für dich? Also was ich jetzt schon lustig finde, weil ich höre, dass du dir so deinen Mountain Hub geschaffen hast. Dann hattest du aber eine Firma mit fünf Leuten – drei in München, einer in Zürich, Du hier.
War das für dich einfach nur Stress oder warst du hier so gut connected? Wie hast du das gemacht? Ich hab‘ das ja nicht so mitbekommen – ich war ja immer in München.
Primo: Also anfänglich war es schon cool. Hey, wir haben hier die Agentur und wir haben unser Büro und wir machen coole Sachen und wir haben unsere Leute da und dort und hier und überall und und und… Wir sind gereist und international und was auch immer. Das war eine gewisse Zeit lang cool für mich.
Irgendwann kam aber der Punkt, wo ich gemerkt habe Hey, ich bin nicht mehr so nah an der Kreativität oder an unserem Produkt oder der Gestaltung – was ja das war, warum ich mich eigentlich selbstständig gemacht hatte – sondern ich habe eigentlich nur noch gemanaged. Ich musste entscheiden, welche Projekte werden,von welchen Leuten gemacht, wo schicken wir welche Leute hin? Wer ist heute wieder krank, wer hat eine Lohnerhöhung beantragt? Usw und sofort. Wer braucht wieder Urlaub? Also ich habe eigentlich nur noch, ich sage jetzt nicht, Probleme rum geschoben, aber ich war nicht mehr kreativ, sondern nur noch übergeordnet und das hat mich nicht mehr erfüllt.
Es hat mich nicht mehr erfüllt in dem, was ich jeden Tag machen wollte. Und ja, das war aber auch irgendwie mehr so ein Gefühl als ein Plan. Und damals habe ich dann wirklich eine schwere Entscheidung getroffen. Ja, ich sage mal, musste mich trennen, auch wenn es schwierig war. Immerhin war ich mit diversen Leuten schon über zehn Jahre im gemeinsamen Boot. Musste etwas ändern und hab mich eigentlich entschieden, mich von fast sämtlichen Leuten loszusagen und mich zu trennen. Das war natürlich im ersten Augenblick auch für die Leute selber auch ein Schock. Für mich aber die einzige Lösung auf meinem Weg, wohin auch immer.
Und ja, irgendwann war es eine Belastung für mich, so viele Leute bei mir zu haben, Angestellte zu haben, Fixkosten zu haben, Löhne zu haben, den Druck zu haben. Ich hatte mittlerweile auch eine Familie gegründet gehabt zu diesem Zeitpunkt. Fragen wie Existenz, Finanzen usw. kommen natürlich auch automatisch und waren ein ganz großer Aspekt, um mir zu sagen: Hey, ich möchte wieder schlanker werden, ich möchte wieder back to the roots. Mehr ans Produkt, mehr selber für mich.
Julia: Wie war das dann für dich, wenn du jetzt zum Teil auch befreundet warst mit den Leuten? Also ich meine, würde ich dich jetzt nicht kennen, würde ich auch davon ausgehen, es ist total schwer, so ein Gespräch anzufangen. Wie fängt man so ein Gespräch an?
Primo: Ja, also in erster Linie sind die Mitarbeitenden, sage ich jetzt mal, in so einer kleinen Firma, nicht irgendwelche Leute, die man einfach von heute auf morgen ersetzen will und kann, sondern es sind auch nicht einfach nur Angestellte, sondern diese Leute, mit denen du jeden Tag Zeit verbringst. Die werden ja zu Freunden.
Das ist ja alles andere als einfach nur eine Nummer in irgendeiner Unternehmung. Man kämpft Tag für Tag in der Berufswelt, um schöne Sachen und miteinander. Und das war ein ganz, ganz schwieriger Schritt. Ich musste und wollte auch mit jedem das persönliche Gespräch führen. Ich wollte die Geschichte aufrollen. Warum ich zu dieser Geschichte kam. Das war eine Geschichte, die ich vor zehn Jahren dann quasi aufzurollen hatte.
Damit Sie verstehen: Hey, warum kommt der Primo? Auch wenn es jetzt grad so cool ist in der Arbeit und auch läuft, es war ja nicht die die Entscheidung: ich trenne mich von Leuten, weil es nicht läuft, sondern es ist extrem gut gelaufen. Aber er dreht sich jetzt trotzdem um. Das musste ich denen erst mal klarmachen. Und da war natürlich die Geschichte, warum ich zu diesem Entscheid kam, sehr wichtig dahinter, dass sie das auch verstehen. Und natürlich war das zwar sehr emotional, das war einer der schwierigsten Schritte, die ich jemals gegangen bin.
Es hängt ja viel hintendran. Das ist ein Rattenschwanz. Es sind nicht einfach nur die Leute, die du da vor dir sitzen hast. Es sind Freunde, mit denen du jahrelang durch dick und dünn gegangen bist. Es sind Leute, Freunde, die auch Familie haben, die auch ein Zuhause haben, die sich auch auf mich verlassen. Ja, war unangenehm. Ja, war schon emotional. Im Nachhinein gesehen sage ich jetzt: für mich oder auch wenn ich jetzt sehe, was diese Menschen heute machen und heute ihren Weg gegangen sind, glaube ich, war es wieder ein Teil vom großen Ganzen für meine Zukunft, für deren Zukunft.
Und wenn wir jetzt heute zusammen sitzen würden, würde jeder bestätigen: Hey, war hart damals, aber hey, das hat neue Türen geöffnet und wir sind happy heute, wie es läuft. Und ich glaube, keiner möchte zurück in das, was war und das glaube ich. Das glaube ich, war dann auch schon auch die Genugtuung, um zu sagen: Hey, die harten Entscheidungen von damals waren die richtigen, auch wenn es zu dieser Zeit gar nicht so ausgesehen hat.
Julia: Du warst gerade dabei, dass quasi, wenn man jetzt zurückblicken würde, dass eigentlich alle Leute heute happy sind. Ich meine, ich bin ja auch ein Teil davon. Ich bin heute happy!
Primo: Also das Größte für mich wäre, wenn die Leute heute hier sitzen und sagen: Es war eine richtig harte Entscheidung, die du getroffen hast damals. Ich war richtig schockiert. Ich konnte die Welt nicht mehr begreifen. Und heute? Aber hier sitzen und sagsen: Hey, das war eigentlich das Beste, was mir passieren konnte. Ich will nicht mehr zurück. Ja, das ist genau das, was ich heute machen will. Das wäre eigentlich die größte Genugtuung für mich.
Julia: Also tatsächlich war das so für mich. Ich habe dich ja damals total verstanden und warum es gemacht hast. Und ich war so zwei, drei Stunden später so sauer. Und dann habe ich mich auch so zwei Tage echt hängen lassen. Mir hat es dann damals geholfen mit der Andrea zu reden, die ja in anderer Weise von der Entscheidung quasi konfrontiert wurde und irgendwie hat sich dann alles gut ergeben. Also jetzt finde ich es super, jetzt würde ich es wirklich nicht mehr so haben wollen, wie es vorher war, aber es hat einfach gedauert.
Und weißt du, was für mich cool war? Wir haben gelernt, uns zu streiten. Ich weiß nicht, ob dir das aufgefallen ist, aber seitdem streiten wir uns einmal im Jahr richtig und wir finden uns dann beide doof – aber dann wird es auch wieder gut. Ich finde, es ist manchmal schon auch so eine Qualität, sich auch mal kurz zu konfrontieren und nicht immer nur so nett und freundlich zu sein.
Primo: Ich glaube, das braucht es auch. So ein gesundes Maß an Konfrontation finde ich auch wichtig. Das stärkt auch das Thema, worüber man sich streitet und ja, ich glaube, das Wichtigste aber an einem Streit ist, dass niemand nachtragend ist und dass der Streit genau dann ist, wenn er passiert und beide nachher wieder auseinandergehen im Guten. Also man darf sich streiten, aber man muss sich nachher wieder in die in die Augen gucken. Und das ist bei uns so oder hoffe ich zumindest.
Es fliegen dann mal die Fetzen und dann ist aber auch alles gesagt und dann weiß man wieder, wo man steht, wo. Und ich glaube, das holt auch immer wieder mal den Respekt für den anderen so ein bisschen hervor.
Julia: Ja, ich finde vor allem auch das halt nicht so schön. Manchmal, wenn man alles unter den Teppich kehrt und gar nicht sagt, was gerade los ist, kann man sich ja auch nicht weiterentwickeln. Dann weiß ich ja manches nicht und du weißt manches nicht. Manchmal ist es ja auch gut, um in Kontakt zu kommen.
Primo: Das ist auch so: Kommunikation ist das A und O, also 80 % der Konflikte entstehen dadurch, weil man nicht miteinander spricht oder nicht offen miteinander spricht, oder ja, aber überhaupt nicht drüber spricht. Und viele Konflikte könnten oder müssten nicht entstehen, weil man eben miteinander offen spricht. Ich finde, das ist auch die Basis von der Beziehung, ob es jetzt privat oder geschäftlich ist, was auch immer –Kommunikation ist die Basis von allem.
Julia: Und wie hat sich bei dir die Kommunikation weiterentwickelt? Am Anfang hast du eher so als Einzelkämpfer einfach dein Ding gemacht und irgendwann musstest du ja schon eigentlich so in partnerschaftlichen Beziehungen arbeiten, eine Beziehung eingehen. Also wie hast du dich da weiterentwickelt oder wie hast du das gelernt? Ist sicher auch eine Herausforderung gewesen.
Primo: Ja, ich bin sicherlich ein Einzelkämpfer in Anführungszeichen gewesen. Ich habe früher sportlich auch immer Einzelsportarten betrieben. Ich bin alleine herumgereist, ich habe alleine gegründet. Aber mittlerweile brauche ich Leute, ja auch Leute, um Austausch zu haben. Das heißt, ich bin eigentlich vom Einzelkämpfer durch die Leute, die mich in den letzten Jahren begleitet haben, auf meinem Weg, privat oder beruflich, bin ich in ein Team reingewachsen.
Ich würde jetzt nicht sagen, ein ausgesprochener Teamplayer, aber ich habe durchaus gelernt, Kompromisse einzugehen. Ich habe gelernt zu kommunizieren, über Sachen zu sprechen, nicht einfach alleine alles durchzudrücken. Konflikte miteinander zu lösen. Also ich glaube, das ist ein Punkt. Das ist eine der größten Punkte, die ich gelernt habe in den letzten Jahren, dass ich nicht nur alleine bin, sondern dass es viele Leute um mich herum braucht, die richtigen Leute, für was auch immer. Das heißt, in der Beziehung, sei es in der Familie, sei es im Verein, in der Freizeit, im Beruf. Mir ist letztens auch aufgefallen, dass ich nichts ohne jemanden anders mehr mache. Also privat oder beruflich.
Es ist sehr viel passiert. Natürlich mit der Familie, mit den Kids, mit meiner Partnerin, aber auch geschäftlich. Es gibt kein neues Projekt oder kein Geschäft oder keine neue Idee, wo ich nicht Partner habe, weil ich sag mittlerweile: Das Sparring zwischen Partnern, das befruchtet viel mehr, als wenn du da alleine vor dich hin sinnierst. Dieses Sparring, dieses Ping Pong, dieses Feedback vom Gegenüber. Das befruchtet viel mehr als das alleine und das ist mittlerweile Form von meiner Gesinnung. Ich kann alles alleine – aber irgendwann kam dazu: Hey, ich brauch ein Gegenüber. Ja, und das ist eigentlich ein cooler Prozess gewesen.
Julia: Ja, schon witzig. Also weißt du, wenn du so deinen Zickzackkurs vom Anfang betrachtest, hast du dich da wirklich noch mal total gewandelt?
Primo: Aber das ist das ist oder das habe ich meinen Leuten oder Menschen zu verdanken, die mich da begleitet haben. Die waren grundsätzlich mal andere Charaktere, das heißt, die konnten mich in gewisser Weise auch positiv beeinflussen und ich habe das aber auch zugelassen. Ich war offen, habe zugehört. Das musst du auch zulassen.
Julia: Und auch annehmen.
Primo: Was sie annehmen wollen. Und das ist aber auch das Feedback, was ich von meinen Menschen rundherum auch höre, im Gegensatz zu früher, dass ich viel weicher geworden bin oder dass ich emotionaler geworden bin oder anders mit Problemen oder Konflikten oder Gesprächen umgehe. Du warst ein Teil davon.
Julia: Ich finde es total cool. Wir könnten jetzt noch ewig weiterreden, aber ich finde, jetzt passt es. Also es sei denn, du magst das vielleicht noch irgendwas zum Abschluss sagen. Irgendwas, was ich dich gar nicht gefragt habe.
Primo: Ich bedanke mich für das Gespräch. Für mich war es sehr, sehr interessant auch für mich, mal in kurzer Zeit die letzten zehn 15 Jahre nochmals Revue passieren lassen.
Ich möchte vielleicht nochmals was unterstreichen, was ich was ich schon gesagt habe. Da geht es im Prinzip um „auf eigenen Beinen“ und „auf eigenen Beinen“ heißt für mich einfach, wie ich schon ein paar Mal erwähnt habe: nicht zu viel studieren.
Klar, irgendwo ist immer das Finanzielle, irgendwo sind immer die Existenzängste. Soll ich, soll ich nicht – wie, was, wo… Man hat vielleicht Familie, vielleicht nicht. Man hat Erwartungen, man hat Eltern, man hat Freunde, jeder erwartet irgendwas.
Hey, ihr seid selber da, ihr habt Ideen. Jeder hat ein Talent, egal was es ist. Lernt diese Talente kennen. Lernt diesen Talenten und euren Fähigkeiten auch zu vertrauen. Und dann muss man halt auch einfach mal was wagen.
Julia: Auch mal ausprobieren, einfach mal ausprobieren.
Primo: Es gibt das Sprichwort: Wer nichts wagt, der nicht gewinnt. Es ist ausgelutscht, aber es stimmt. Von nichts kommt einfach nichts. Das ist einfach so und einfach mal machen. Trial and Error. Manchmal funktioniert es, manchmal halt nicht. Und man lernt. Man lernt immer, egal, wann man auf die Nase fällt oder nicht. Man lernt. Ich habe so viele Sachen ausprobiert. Ich bin so viele Male auf die Nase gefallen. Letztendlich Irgendwann funktioniert es.
Julia: Man lernt ja auch daraus. Hat man es nicht probiert, würde man sich ewig fragen, was wäre?
Primo: Hätte ich nicht den Mut gehabt oder mal irgendwann mal was ausprobiert? Ich wäre heute immer noch Sanitärinstallateur und es würde mich jeden Tag ankasen aufzustehen.
Julia: Das wäre total schade.
Primo: Genau.
Julia: Also ich finde es total cool, Primo. Das war für mich auch besonders, weil du quasi so lange mein Chef warst und wir so viel zu zusammenarbeiten. Ich fand‘s richtig gut, dich auch von einer anderen Seite kennenzulernen. Manches wusste ich noch gar nicht.
Primo: Hat Spaß gemacht.
Julia: Danke. Vielen Dank fürs Zuhören von der vierten Folge vom Podcast „Auf eigenen Beinen“. An dieser Stelle möchte ich mich sehr bedanken für all euer Feedback, was ihr mir bisher schon geschickt habt.
Es macht mir total Freude zu hören, dass der Podcast euch inspiriert. Für mich war das Gespräch mit Primo was ganz besonderes, weil ich ja fünf Jahre schon mit ihm zusammenarbeite und er in gewisser Weise auch ein Game Changer für mich war. Von der Art, welche Projekte ich betreue, von der Art, wie ich arbeite, wo ich arbeite.
Und ich bedanke mich sehr, dass ihr auch diesmal zugehört habt. Schreibt mir wie immer gerne eure Anmerkungen und Fragen an Julia@aufeigenenbeinen.com oder folgt einfach dem Podcast, schreibt gerne eine Rezension und hört auch beim nächsten Mal wieder rein.
Vielen Dank und bis zum nächsten Mal!
Der Weg zu neuen Horizonten verläuft selten gradlinig. Ich helfe dir, die entscheidenden Wegpunkte zu identifizieren, sie sinnvoll zu verbinden und begleite dich einfühlsam und wertschätzend auf deiner Reise auf eigene Beine.